After Sunset; oder: Wien – Stadt der unbegrenzten Unmöglichkeiten

Keine geringeren als Wally und fany themselves machten sich in den Pfingstferien 1995 auf den Weg nach Wien, um für euch, liebe Leser und Leserinnen, das nun folgende ultimativ-objektive Eierkopf-Wien-Lexikon zu verfassen. Doch lest selbst, was sie Euch zu berichten haben …


Wien von A bis Z

    Anfahrt, mit dem Auto dürfte man über die A3 Richtung Passau und die komplette österreichische A1 von der Grenze bis zu ihrem Ende in Wien in etwa fünf Stunden und 500 Kilometern in Wien sein, sofern man keine längeren Zwischenstops einlegt. Anbieten würden sich hier nämlich insbesondere die Walhalla bei Regensburg, sowie eventuell Passau und Linz.

    Aldi heißt jetzt Hofer.

    Eistee ist verfügbar in 2-Liter-Tetrapacks, wahlweise Pfirsich- oder Zitronengeschmack; Hauptsache: süß.

    Eskimo, Langnese.

    Flohmarkt, zwischen etwa mit dem Dutzendteich vergleichbaren Pfützen bieten auf dem F. an der U4-Station Kettenbrückengasse (etwa das Gostenhof von Wien) allsamstäglich zwielichtige Gestalten verrostete Röcke direkt aus der Altkleidersammlung für umgerechnet unter 1,5 DM feil; mit ein bißchen Glück bekommt man zu diesem Preis aber auch schon ein tolles ALF-Taschenbuch.

Hundertwasserhaus
Abb. 1: das Hundertwasserhaus

    Flughafen, die für uns eigentlich obligatorische nächtliche Besichtigung des F. fiel leider ins Wasser, da die letzte S-Bahn dorthin — und insbesondere zurück in die Stadt — gegen 2150 Uhr fuhr. (vgl. Nachtleben)

    Hofer, Aldi.

    Hundertwasserhaus (Abb. 1), hat seinen Namen entgegen weitverbreiteter Vorurteile keineswegs aufgrund seines gleichnamigen Architekten, sondern vielmehr deshalb, weil sich hundert Wasser vom Himmel stürzen, sobald man hinfahren möchte.
    Was das Haus anbelangt, so gilt: Hauptsache bunt. Das H. macht sich daher besonders gut auf Postkarten. Außerdem sind's von hier nur ein paar hundert Meter zum Kunsthaus.

    Jänner, Januar.

    Januar heißt jetzt Jänner.

Kunsthaus
Abb. 2: das Kunsthaus

    Kunsthaus (Abb. 2), offenbar auch von Herrn 100H2O gestaltet. Daher Vorsicht: Fußboden wirft Falten!
    Der Eintritt zu den Ausstellungen war uns allerdings zu teuer.

    Langnese heißt jetzt Eskimo, dafür gibt's ein leckeres FRED-FEUERSTEIN-Jabbadabbadu-Eis.

    Marché, ein Mövenpick M. gibt es in den Ringstraßengalerien in der Innenstadt. Es handelt sich hierbei um eine Art McDonald's für die gehobene Mittelschicht. Man bekommt am Eingang eine Konsumationskarte, auf der sämtliche Produkte, die man verkonsumiert, mittels Stempeln vermerkt werden. Das Innere des M. (französich für: Markt) besteht nämlich aus einzelnen Marktständen, an denen man aus den verschiedensten Lecker- und Schlemmereien auswählen kann. Gezahlt wird dann erst am Ausgang.
    Mit dem nötigen Kleingeld (vgl. Währung) kann man hier durchaus lecker mittag- und möglicherweise sogar abendessen, sofern man die gängigen Kniffe kennt. Beispielsweise gibt es zwar laut Aushang 0,75-Liter-Mineralwasserflaschen zu öS 36, diese sind jedoch auf Nachfrage nicht vorrätig, so daß man auf 0,25-Liter-Flaschen zu öS 19 ausweichen müßte. „Müßte“, weil es mit dem nötigen Fingerspitzengefühl durchaus möglich ist, die freundliche Dame am Getränkestand zu bewegen, einem drei kleine Flaschen zum Preis einer großen zu überlassen.
    An manchen Ständen kann man sich auch Teller in diversen Größen zu entsprechenden Preisen leihen, die man dann beliebig hoch, beispielsweise mit verschiedenen Gemüsesorten oder Salaten, beladen darf. Geht man von einem Beschichtungswinkel von etwa 45° aus, so ergibt sich für die mögliche Beladungsmenge:

VKegel = GKegel * hKegel
    Da DreieckTellerrand-Tellermittelpunkt-Gemüsespitze gleichschenklig-rechtwinklig, gilt hKegel = rTeller ; also:
VKegel = 1/3 * pi * rTeller2 * rTeller =
= 1/3 pi rTeller3
    Die Nutzlast wächst also kubisch mit dem Tellerradius: VKegel ~ rTeller3 (!)
    Auch für den etwas schmaleren Geldbeutel erschwinglich und empfehlenswert ist das Frühstücksangebot des M. Bereits für etwa 7 DM pauschal kann man soviel essen und Tee oder Kaffee trinken, wie man will und kann, für gut 4 DM mehr gibt's beliebige Mengen an Saft und warmem Essen dazu. (Möglicherweise wurden die Pauschalpreise jedoch erhöht, nachdem wir zugeschlagen hatten) Im allgemeinen dürfte es aber genügen, wenn eine Person im M. frühstückt, denn es kann mitunter schon recht schnell passieren, daß man seine persönliche Konsumationskarte mal eben verwechselt …
    Erwähnenswert ist am M. auch die angenehme Atmosphäre; es gibt Raucher- und Nichtraucherzonen, und insbesondere die Toiletten sind reich geschmückt: Man kann sein Geschäft wahlweise inmitten von (Bildern von) MARILYN MONROE, THERESA oder JEANETTE (Herren) beziehungsweise JAMES DEAN, ALBERT EINSTEIN oder JEAN TINQUELY (Damen) verrichten (WALLY war so begeistert, daß sie gleich alle drei Toiletten durchprobiert hat), und auf dem Pissoir grinst einem MONA LISA entgegen.
    Am Getränkestand bedient mitunter die größte Tunte von ganz Wien, die gut befreundet sein dürfte mit Herrn BOHNERS offensichtlichem Bruder, der für die Kuchentheke verantwortlich zeichnet.

    McDonald's, statt Croissants Wiener Frühstück mit Kipferl. Es gibt tatsächlich echtes Mineralwasser (nicht mit Kohlensäure versetztes Leitungswasser wie in Deutschland) und offensichtlich sogar echten Orangensaft. Der Milchshake heißt jetzt tatsächlich Kaltschale, ist etwas flüssiger und wird dafür mit dem Löffel gegessen, was sich prinzipiell natürlich auch bei uns anbieten würde.
    Um Mitternacht macht Mr. MACDONALD jedoch für gewöhnlich seine Schotten dicht, eventuell sogar schon früher (vgl. Nachtleben)

    Meidlinger Hauptstraße, Einkaufsstraße in Form einer Fußgängerzone, vergleichbar etwa mit der Breiten Gasse in Nürnberg. Die M. H. ist ideal zum Rollerblading, desweiteren gibt's hier natürlich auch ein McDonald's.

    Nachtleben, —

    natürlich, bestellt man im Sacher einen Kakao, bekommt man „eine Schokolaade. Mit Schlagobers? Nadüürlich. Darf's eïn Gebäg dazu sejn? Viellejcht ejn Stück Sacherdoade? Ejnes. Nadüürlich. Sehr wohl, der Härr.“

überdimensionales Modell einer Stubenfliege
Abb. 3: Modell einer Stubenfliege im Naturhistorischen Museum

    Naturhistorisches Museum, Unmengen steinzeitlicher Werkzeuge und Gefäße, Skelette von urzeitlichen Lebewesen und zigtausende ausgestopfter Tiere sowie aufgespießter Insekten grinsen einem aus „Jahrhundertwendevitrinen“, so Herr WALTHER, entgegen, die ihm zufolge eigentlich sowieso wesentlich interessanter sind als die ganzen Viecher selbst.
    Der Eintritt ins N. M. kostet für Schüler nur gut 2 DM.

    Nebensaison, in Meidling gibt's nicht nur die Meidlinger Hauptstraße, sondern auch einen Gerüstbau, der sich darauf spezialisiert hat, in der N. sämtliche interessanten Sehenswürdigkeiten so geschickt zu verhüllen, daß CHRISTO seine wahre Freude hätte.

    Öffentliche Verkehrsmittel, besonders das U- und Straßenbahnnetz ist wirklich gut ausgebaut. Sehr interessant ist die U-Bahn-Linie U5, die es nämlich nicht gibt. Abwechslung bietet auch die U6, wo auf hypermoderne Wagen ausrangierte Straßenbahnzüge folgen, die wohl aufgrund ihrer Häszlichkeit in den Untergrund verbannt werden mußten.
    Die Tarife sind moderat. Für umgerechnet gut 7 DM bekommt man ein 24-Stunden-Ticket, für knapp 19 DM ein 72-Stunden-Ticket, jeweils fürs gesamte Stadtgebiet.
    Leider nicht ganz so erotisch wie in unseren heimischen S-Bahnen, dafür ausführlicher und entsprechend verwirrender sind die Ansagen bezüglich Umsteigemöglichkeiten, denn es werden auch jeweils sämtliche Bus- und Straßenbahnlinien angegeben.
    Als Faustregel zur Ermittlung der richtigen Fahrtrichtung gilt unter Anwendung der MURPHYschen Gesetze: Die richtige Bahn ist die, die dir gerade vor der Nase weggefahren ist, beziehungsweise die, auf die du deutlich länger warten mußt.

    Postkarten, schaut man sich etwas um, findet man in Wien P. in großer Auswahl bereits für öS 4 (etwa 0,6 DM), das Porto nach Deutschland kostet öS 6 (knapp 0,9 DM).

    Prater, entgegen der landläufigen Meinung handelt es sich beim P. in erster Linie nicht um ein Volksfest, sondern um einen recht geräumigen Park, was man insbesondere zu spüren bekommt, wenn man aus der Straßenbahn am falschen Ende des P. aussteigtund dann stundenlang vergeblich das Riesenrad sucht.
    Das Riesenrad gibt's aber tatsächlich, und zwar laut MURPHY am allerentgegengesetztesten Ende des P., am sogenannten „Volksprater“ (U1-Station Praterstern). Der Rummel, der um das darumherum stattfindende Volksfest gemacht wird, ist jedoch vollkommen unbegründet; toller als das
Nürnberger ist es auch nicht, es ist nur etwas weniger los (vgl. Nebensaison).

    Prinz von Persien, findet man gegen elf Uhr abends an der U4 in Wien/Mitte. Er ist hauptsächlich damit beschäftigt, Passanten über seine Identität zu informieren, scheint aber in finanziellen Nöten zu stecken.

    Rollerblading, „der irrste Sport des Jahres“, so eine Wiener Zeitung, scheint, nachdem es die Dinger bei uns ja erst seit gut drei Jahren geben dürfte, nun tatsächlich bis hierher vorgedrungen zu sein.
    Empfehlenswert ist die U6 (
öffentliche Verkehrsmittel) von der Niederhofstraße zur Philadelphiabrücke als Lift. Die Abfahrt führt dann durch die Meidlinger Hauptstraße, zu den Hauptgeschäftszeiten ist diese Route daher nur für geübte Fahrer zu empfehlen.
    Außerdem gibt's am Prater einen Skatepark inklusive Quarterpipe, den wir aber aus Zeitgründen nicht näher unter die Lupe genommen haben.

    Rolltreppen, nicht in jeder Wiener U-Bahn-Station gibt es R. Wo doch, gilt auch hier:

Bitte rechts stehen
Bitte rechts stehen
Bitte rechts stehen

    Sacher, schon für knapp 20 DM erhält man im Hotel/Café S. ein opulentes Mahl, bestehend aus zwei Getränken und einem schmalen Stück S.torte, wie es WALLYS Mutter hätte besser machen können. Dafür ist die Bedienung natürlich allererste Sahne.

    Sahne heißt jetzt Schlagobers oder einfach Schlag (vgl. Sprache).

    Schlag, einen ganz gewaltigen S. haben die meisten Wiener. Eventuell könnte mit S. aber auch Schlagobers gemeint sein.

    Schlagobers, Sahne.

Schloß Schönbrunn
Abb. 4: Schloß Schönbrunn

    Schönbrunn (Abb. 4), das Schloß S. hat nicht nur einen recht geräumigen Garten zu bieten, der von den Einheimischen (Wiener) in erster Linie zum Joggen genutzt wird, es ist auch ein idealer Spielplatz für den Meidlinger Gerüstbau (vgl. Nebensaison).
    Das Schloß selbst konnten wir nicht besichtigen, weil gerade Kammerkonzerte in ihm stattfanden, als wir dort waren. Allerdings könnte man für gut 10 DM sowieso nur 22 Zimmer begehen; will man 40 Zimmer sehen, muß man etwa 2 DM mehr investieren und sich das übliche Führungsgelaber antun.
    Weiterhin gibt's in S. eine gleichnamige Pension, in der wir residierten, und in der STALIN im Jänner 1913 irgendein tolles Buch geschrieben haben soll. Die Pension S. ist ganz okay; wenn man knapp 50 DM pro Nacht und Nase auszugeben bereit ist, bekommt man ein „kleines“ Doppelzimmer mit Dusche, seperatem WC und einem französischem Bett, das allerdings leider ein bißchen laut ist …
    Bringt am besten Nürnberger Lebkuchen mit, und behauptet, euer Onkel KARL hätte euch geschickt.

Café Sluka
Abb. 5: Café Sluka

    Sluka (Abb. 5), das Café zum Redakteur befindet sich am Rathausplatz 8. Zum Kaffee Melange gibt's ein Glas Wasser gratis.

    Sprache, angeblich deutsch.

    Stefansdom, eines der angeblichen Wahrzeichen von Wien, ist unserer Meinung nach im wesentlichen nicht sehr viel toller als die Lorenzkirche in Nürnberg. Für knapp 3 DM kann man sich, sofern man einigermaßen sportlich und nicht allzu dick ist, bei der Besteigung des Turmes einen Drehwurm und Plattfüße holen, dafür bekommt man dann aber auch eine mittelmäßige Aussicht über Wien geboten.
    Schöner als den S. fanden wir eigentlich die Votivkirche.

Verkehrsschilder
Abb. 6: Verkehrsschilder

    Verkehrsschilder (Abb. 6), was V. anbelangt, so sind die Österreicher erfinderisch. Unmittelbar auf eine Zone, in der man nachts von drei bis halb fünf und tagsüber an Dienstagen mit offenem Fenster dreieinhalb Minuten parken darf, folgen schon mal fünf Meter, in denen Linkshänder mit dunklen Haaren und rotweißkarierten VW-Bussen mit laufendem Motor bei Regen in Schaltjahren siebenundzwanzig Sekunden halten dürfen, sofern gerade Ostern und Weihnachten aufs gleiche Wochenende fallen. Am Ende einer jeden Park- oder Halteverbotszone wird natürlich die gesamte Beschilderung wiederholt, so daß man eigentlich schon anhalten muß, um überhaupt die V. zu lesen.

    Verpflegung, Frühstück im McDonald's oder Marché. Ansonsten: Pizza in allen erdenklichen Formen und Größen an fast jeder Ecke, für Nichtvegetarier eventuell Leckereien wie Pferdeleberkäse (würg!) an diversen Kiosken.
    Vorsicht: Viele Lokale haben faszinierenderweise ausgerechnet sonntags Ruhetag oder gar das ganze Wochenende geschlossen.

    Votivkirche, eine Kirche mit vielen bunten Fensterchen.

    Währung, anfangs ist die Umstellung auf öS (österreichische Schillinge) und die damit verbundene Umrechnung aller Preise mittels Divison durch sieben natürlich etwas verwirrend. Erleichtert wird sie durch die Tatsache, daß man — mit Ausnahme von Supermärkten und Ähnlichem — eigentlich nur mit ganzen Schillingen, also nicht mit Groschen, zu kämpfen hat.
    Für Leute mit ec-Karte gibt es in Wien genügend Automaten.

Walhalla
Abb. 7: die Walhalla

    Walhalla, das Lexikon sagt: „Von LUDWIG I. von Bayern erbaute dorische Halle bei Regensburg, mit Büsten berühmter Deutscher, erbaut 1842 von LEO VON KLENZE.“
    LUDWIG I. sagt: „Möchte W. förderlich sein der Erstarkung und Vermehrung deutschen Sinnes! Möchten alle Deutschen, welchen Stammes sie auch seien, immer fühlen, daß sie ein gemeinsames Vaterland haben, ein Vaterland, auf das sie stolz sein können, und jeder trage bei, soviel er vermag, zu dessen Verherrlichung.“
    Wir sagen: Alles nicht so schlimm, für 2 DM wirklich sehenswert.

    Wien, Wilhelm, Physiker, konnte im Jahre 1893 auf empirischem Wege den Zusammenhang zwischen Temperatur T eines schwarzen Körpers und der Wellenlänge seines Strahlungsmaximums lambdam auffinden. Das daraufhin von W. formulierte W.sche Verschiebungsgesetz besitzt die einfache, einprägsame Form:

lambdam * T = 2,898 * 10-3 m * K
    Eventuell könnte mit W. aber auch die Hauptstadt Österreichs gemeint sein.

    Wiener, will man einen echten W. finden, so geht man entweder zum Metzger, zum Zeitungskiosk oder immer der Nase nach. Die Gattung homo Wienensis weist nämlich unseren Erfahrungen zufolge die allerschönsten und vor allem überdimensioniertesten Riechzinken auf, die je ein menschliches Auge gesehen hat, und die offensichtlich benötigt werden, um die Witterung des jeweils nächstgelegenen Wienerwalds aufzunehmen.

    Wienerwald, beim W. handelt es sich um ein auch in deutschen Gefilden verbreitetes Schnellrestaurant, das in Wien allerdings deutlich häufiger anzutreffen ist als McDonald's, eigentlich sogar an jeder Ecke. Trotzdem wird man bisweilen von verschnupften Wienern gefragt, wo diese Ecke denn nun sei, denn oft finden sie den W. vor lauter Bäumen nicht.

    faZit, Wien ist natürlich eine Reise wert, vielleicht sogar eine Hochzeitsreise, am besten aber erst zur goldenen. Für junge Leute ist nämlich irgendwie recht wenig geboten.